christine friebe
planen
Du brauchst nur einen Plan.
Eine Landkarte. Eine Erklärung.
Dann geht es weiter, dann läuft alles.
Du willst nur Durchblick. Willst wissen, wie du hinkommst und wie wieder weg.
Es gibt nur ein Problem:
Vor dir war niemand hier.
Es ist dein eigenes Land. Dein Leben.
Keiner da, der dir deine Fragen beantwortet.
Nur du selbst.
Das Weiß in dir, das Schwarz.
Deine Linien, deine Erfahrungen,
Ängste, Hoffnungen.
Sie zeichnen deine Karten, schreiben die Beipackzettel, formulieren die Anleitungen.
Das ist deine Navigation.
Mehr hast du nicht.
So wenig, so viel.
Irrwege, Übermalungen, blinde Flecken.
Und immer wieder Wege.
Du kannst sie selbst schreiben und erneuern.
Schwarz auf weiß, weiß über schwarz.
Linien zwischen hier und dort.
Im Gehen wachsen.
So wirst du dein Land erforschen.
Ganz ohne Durchblick.
gehen
Schwarz auf Weiß. Nicht zu leugnen. Weniger als Fläche, aber viel mehr als eine Linie. Eine Spur. Ein Etwas im Nichts, eine Unterbrechung der Unendlichkeit. Ein Wimpernschlag in der Geschichte. Dein Weg.
Ganz einfach und maßlos schwer.
Wie gehst du
durch ein unerforschtes Land, dein Land?
Keiner da, der vor dir hier gegangen ist, keiner da, der dir den Weg zeigt.
Und keiner weiß, wie es geht. Das Hinkommen. Das Weggehen. Der entscheidende Schritt.
Keine Straße, kein Trampelpfad, nur du.
Du bist es, der den Fuß aufsetzt, unter dir wächst der Weg. Im Gehen. Manchmal ist es so einfach wie das Fliegen und schon überwindest du ein Meer. Oder es trennen dich nur Zentimeter, die du niemals besiegen wirst. Minuten werden Jahre und andersrum.
Ein Ziehen manchmal, ein Zerren. Ein Jagen.
Und plötzlich bleibt dein Herz stehen,
mitten im Gehen. Zwingt dich zum Anhalten, schlägt dir von innen gegen die Brust.
Die Zeit läuft. Jede Sekunde zählt. Weil sie dir gehört. Das Gehen ist deins. Dein Leben.
Nicht zu leugnen. Schwarz auf Weiß.
laufen
Ein Streifen ist mehr als ein Streifen.
Er ist Farbe, er ist Kontrast, er ist Gegenteil des Nichts.
Er ist mehr als eine Linie aber weniger als Raum.
Ein Streifen ist ein langer, farblich abgehobener Teil einer Fläche. Und selbst Fläche.
Ein Weg von A nach B. Von mir zu dir.
Die Sekunden zwischen uns. Oder die Jahre bis zum Ziel.
Oder nur ein kleines Stück dieses Weges, ohne Anfang und Ende.
Ein Streifen ist der Weg oder die Zeit oder ein Bruchteil davon, sekundenschnell oder tagelang. Angefüllt mit Zweifel, Hoffnung, Mut, Stillstand. Mal zielstrebig, mal verunsichert. Düster oder freudig hell.
Das Leben.
Wechselnd, fordernd, schnell oder langsam. Es erscheint uns linear und dann zweifeln wir: war ich nicht vor langer Zeit genau an derselben Stelle? Ist das Leben stehen geblieben, während wir gegangen sind?
Ich will laufen. Schnell, vorwärts: weg. Aber ich klebe an der Stelle fest, wie im Traum, wenn die Füße sich bewegen und du nirgends ankommst. Will ich dagegen zurück, nimmt es keine Rücksicht, hält nicht an, treibt mich vorwärts. Schmerz schlägt mich nieder, aber die Welt bleibt nicht stehen. Drängt gewaltsam nach vorne. Und dann du. Plötzlich bist du da. Unsere Wege verschmelzen, Farbe. Dann Leere.
Ich sehe mich um und bin allein.
Die Welt ist voller Streifen. Es gibt 6 Milliarden Menschenleben, 6 Milliarden Wege die nebeneinander laufen, zueinander finden, gemeinsam gehen, einsam sind. Und jeder einmalig, glücklich, traurig, mal gut, dann zum Verzweifeln, schwarz und grell bunt. Genau richtig und dann wieder falsch, nicht stimmig, kaputt.
Ein Streifen ist mit Denken nicht zu beherrschen.
Du kannst denken soviel du willst, das Leben geht seine eigenen Wege.
Beim Malen entscheidet nicht der Geist, sondern die Handlung. Dem Streifen sind meine Gedanken gleichgültig, allein der Prozess hat Macht. Er entwickelt sich, ist nicht planbar. Eine Farbe zu viel und er stört die Ruhe. Oder ein bisschen zu wenig und er fließt nicht mehr, bleibt stehen. Ein Streifen braucht erstaunlich viel Gegengewicht, damit ich ihn ertragen kann. Der Ausgleich kann tagelang dauern. Manchmal geht es aber schnell, nichts stört mich. Alles soll bleiben. Und alles ist gut.